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Spätestens seit David Beckham 2007 nach einem Spiel mit Real Madrid sein Trikot auszog und die pinken Streifen auf dem Bildschirm zu sehen waren, erfreut sich das Kinesio-Tape wachsender Beliebtheit. Aber wie funktionieren die Streifen aus Baumwolle, und was bringen sie wirklich? Wir sprachen darüber mit Klaus Eder, dem Physiotherapeuten der deutschen Nationalmannschaft.
MEIN FUßBALL: Herr Eder, das Kinesio-Tape ist mittlerweile in jeder Sportart zu finden, egal ob im Breiten- oder Spitzensport. Wird es auch in der Nationalmannschaft eingesetzt?
Klaus Eder: In der Nationalmannschaft benutzen wir es schon seit der WM 2002 in Japan und Südkorea. Damals wurde mir und Mannschaftsarzt Prof. Dr. Müller-Wohlfahrt das Kinesio-Tape vorgestellt. Zunächst waren wir davon nicht begeistert, haben uns dann aber eines Besseren belehren lassen, auch durch eigene Erfahrungen. Seitdem kommt das Tape auch regelmäßig bei der Nationalmannschaft zum Einsatz.
MEIN FUßBALL: Seit wann gibt es das Kinesio-Tape und woher kommt es?
Eder: Das Kinesio-Tape hat der japanische Chiropraktiker Kenzo Kase entwickelt, in Japan wird diese Art des Tapens bereits seit etwa 40 Jahren angewendet. In Europa hat sich dieser spezielle Tape-Verband erst vor etwa zehn Jahren durchgesetzt.
MEIN FUßBALL: Das klassische Tape gibt es schon lange. Worin liegt denn der Unterschied zwischen dem klassischen und dem Kinesio-Tape?
Eder: Das klassische Tape dient dazu, Bewegungen einzuschränken, während das Kinesio-Tape Bewegungen unterstützt. Wenn beispielsweise ein Außenband im Sprunggelenk gerissen ist, wird durch den klassischen Verband versucht, die „Einwärtsbewegung“ des Fußes zu verhindern, sodass das Band in Ruhe ausheilen kann. Durch das Kinesio-Tape soll ebenfalls die Fußbewegung etwas minimiert werden. Zusätzlich wird durch spezielle Techniken ein Reiz auf das Band, die Muskulatur oder das Skelett ausgeübt.
MEIN FUßBALL: Wie funktioniert das genau und was bewirkt dieser Reiz?
Eder: Schuld daran, dass wir Schmerzen spüren, sind die Schmerzsensoren (Neuropeptide, Anm.d.Red.) in der Gewebeflüssigkeit. Auf dieser Erkenntnis baut das Tape auf. Das Kinesio-Tape ist der menschlichen Haut, dem menschlichen Gewebe, nachempfunden. Es ist sehr gut beweglich, hochelastisch und atmungsaktiv. Das Tape hebt die obere Hautschicht an, sodass das Blut besser in die verletzten Regionen fließen kann. Dadurch wird die Reaktion der Blutgefäße und der Nerven verbessert. Außerdem wird das Gewebe, auf dem das Kinesio-Tape liegt, besser mit Sauerstoff versorgt. Die Schlackenstoffe im Gewebe werden schneller entsorgt, und die Ermüdungsstoffe in der Muskulatur werden beschleunigt abgebaut. Das Kinesio-Tape fördert also eine bessere Revitalisierung, eine Wiederbelebung, der Gewebe. Hierzu gibt es evidenzbasierte Untersuchungen, die die Wirkung von Kinesio-Tapes nachweisen.
MEIN FUßBALL: Für welche Probleme und Verletzungen wird das Kinesio-Tape eingesetzt?
Eder: Das Kinesio-Tape kann in den drei Bereichen Prävention, Rehabilitation und Korrektur eingesetzt werden. Zur Vorbeugung, weil die physiologischen Prozesse verbessert werden: Bessere Durchblutung, schnellerer Abtransport von Schlacken, verbesserte Nervenleitgeschwindigkeit und dadurch auch optimale Reflexlaufzeiten. Ein Beispiel: In risikoreichen Situationen, also beim Tackling in einem Spiel, schalten die Reflexe schneller. Der Muskel kann das Gelenk durch diese verkürzten Reflexlaufzeiten besser schützen. Auch zur Rehabilitation kann der Kinesio-Verband eingesetzt werden. Bei frischen Verletzungen wie Blutergüssen oder Gelenkergüssen kommen beispielsweise spezielle Lymphanlagetechniken zum Einsatz. Dabei soll das Kinesio-Tape die physiologischen Prozesse der Venen und Lymphgefäße unterstützen, indem es den Abbau der eingelagerten Blutergüsse oder Gelenkschwellungen beschleunigt. Außerdem gibt es Korrekturtapes, bei denen das Tape das Gelenk wieder in die richtige Stellung bringen, also repositionieren, soll.
MEIN FUßBALL: Gibt es, bezogen auf das Kinesio-Tape, unterschiedliche Behandlungsweisen bei den verschiedenen Sportarten?
[bild2] Eder: Man muss das individuelle Anforderungsprofil einer Sportart kennen. Wenn wir Fußball als Beispiel nehmen, sind sicherlich die Sprunggelenke und die Muskelgruppen in den Waden und den Oberschenkeln sehr gefährdet, sodass hier prophylaktisch getaped werden kann. Das muss aber individuell auch dem Athleten überlassen werden. Bei einem Nationalspieler haben wir beispielsweise gerade einen kombinierten Tape-Verband am Fuß angelegt, aus klassischem Tape und Kinesio-Tape.
MEIN FUßBALL: Spielt auch die Psyche eine Rolle, Stichwort Placebo-Effekt?
Eder: Die Psyche spielt eine große Rolle: Never change a winning tape (lacht). Wenn ein Athlet damit gute Erfahrungen gemacht hat und sich mit dem Verband sicher und wohl fühlt, sollte man ihm das nicht vorenthalten. Die Psyche ist gerade im Sport sehr wichtig.
MEIN FUßBALL: Es gibt diesen Mythos um die unterschiedlichen Farben des Tapes – haben sie eine Bedeutung?
Eder: Die Farbenlehre ist ja schon sehr alt. Spätestens seit Leonardo da Vinci, der den Farben eine sehr große Bedeutung beigemessen hat. Einen blauen Verband würde man beispielsweise anlegen, um einen kühlenden Effekt zu erreichen, die Farbe Rot steht für Wärme. Auf die grundsätzliche Wirkungsweise des Tapes hat die Farbe allerdings keine Auswirkung. Die Farbe kann nur in Verbindung mit der Psyche wirken.
MEIN FUßBALL: Sie haben jetzt schon viele Vorteile der Klebestreifen aufgezählt, gibt es auch Nachteile oder Risiken?
Eder: Das größte Risiko besteht in der Unverträglichkeit des Klebstoffes auf der Haut. Hierbei kann es zu Hautreaktionen kommen. Wenn Hauterkrankungen bekannt sind, sollte das Tape nicht verwendet werden. Auch bei Venenleiden ist ein Verzicht auf die Klebestreifen zu empfehlen. Schaden kann dann angerichtet werden, wenn durch das Tape zu viel Druck auf die Region ausgeübt wird. Die Blutgefäße und Nervenbahnen werden abgeschnürt, die Folge sind Schwellungen oder Drossellungen. Das könnte wiederum zu einer erhöhten Verletzungsanfälligkeit führen, weil gewisse Gebiete von der Blutversorgung abgeschnitten sind.
MEIN FUßBALL: Wer sollte den Tape-Verband anlegen, ein Profi oder kann das jeder?
Eder: Tapen sollte grundsätzlich der, der es kann. Das sind vor allem ausgebildete Ärzte, Physiotherapeuten oder auch Heilpraktiker. Das Wichtigste ist, indikationsbezogen zu tapen. Für jede Indikation gibt es verschiedene Tape-Möglichkeiten, also Anlagentechniken. Bei Muskelverletzungen wird anders getaped als bei Blutergüssen oder Gelenkergüssen. Es ist aber auch möglich, einen Patienten individuell anzuleiten, wenn der Physiotherapeut weiß, welchen Zweck das Tape erfüllen soll. Ich erinnere mich noch an die aktive Zeit von Oliver Bierhoff, er hat sein Sprunggelenk auch immer selbst getaped.
MEIN FUßBALL: Zahlt die Krankenkasse das Tape?
Eder: Es gibt Einzelfallentscheidungen, bei denen die Krankenkasse auf Anraten des Arztes das Kinesio-Tapen übernimmt. Das ist beispielweise bei schweren Erkrankungen mit nachfolgenden Brustamputationen der Fall. Normalerweise zahlen die Krankenkassen das Tape allerdings nicht.
MEIN FUßBALL: Lohnt es sich für Amateure, das Kinesio-Tape zu verwenden, wenn sie es selbst zahlen müssen?
Eder: Das ist wie mit der Gesunderhaltung allgemein. Bringt es mir etwas, wenn ich Vitaminpräparate zu mir nehme? Bringt es mir etwas, wenn ich mich gesund ernähre? Bringt es etwas, wenn ich mit dem Rauchen aufhöre? Genauso ist es hier mit dem Tapen. Wir kennen die Vorteile des Kinesio-Tapes. Wir wissen, dass das Gebiet, auf dem das Tape liegt, besser vitalisiert wird. Wenn ich das haben möchte und bereit bin, das Geld dafür zu investieren, lohnt sich das Tape auch für Amateure.