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Der Muskel ist verletzt – was tun?

Muskelverletzungen treten im Fußball tagtäglich auf – und sei es nur die Prellung der Wade oder der ‘Pferdekuss’ am Oberschenkel. „Geht schon, Trainer!“, sagen die meisten Spieler und trainieren oder spielen weiter. Und wundern sich dann, wenn sie ‘plötzlich’ für mehrere Tage oder gar Wochen ausfallen.

Dass z. B. besagter Pferdekuss schon so manchem Spieler einen operativen Eingriff beschert hat, mag kaum jemand glauben. Dr. Sanjay Weber-Spickschen erläutert, wie Muskelverletzungen entstehen und worauf es bei Diagnose, Erstversorgung und Vorbeugung ankommt.

Die Bandbreite von Schädigungen der Muskulatur reicht vom harmlosen Muskelkater über einfache Prellungen bis zu folgenschweren Muskelrissen und chronischen Überlastungsschäden. Das große Problem liegt vor allem in der Tatsache, dass Muskelverletzungen oftmals unterschätzt und Konsequenzen für Therapie, aber auch für die Prävention nicht ernst genug genommen werden.

Gerade das große Spektrum der verschiedenen Verletzungsformen birgt das Risiko, dass das genaue Ausmaß mit den notwendigen Therapieoptionen häufig verkannt wird. Dabei können Sie durch fundiertes Wissen einerseits sowohl das Risiko von Muskelverletzungen senken und andererseits im Falle einer Verletzung den Heilungsverlauf und die Wiedereingliederung des Spielers in den Trainings- und Spielbetrieb optimieren!

Die Muskulatur – höchste Ansprüche an ein komplexes Organ

Über 300 verschiedene Muskeln sorgen dafür, dass der menschliche Körper hochkomplexe Bewegungsabläufe mit präziser Feinmotorik und großer Kraft durchführen kann. Dabei macht die Muskelmasse des Sportlers über 40 Prozent des Körpergewichts aus. Im Ruhezustand wird die Muskulatur nur zu einem geringen Maß durchblutet.

Draxler wird vom Feld geführt – später musste er sogar operiert werden! © 2014 Getty Images

Unter Belastung steigert sich die Durchblutung des arbeitenden Muskels jedoch enorm, um den erforderlichen Energiebedarf decken zu können.

Durch zielgerichtetes Training passt sich der Körper den Anforderungen an und reagiert z. B. durch Zunahme der Muskelmasse auf Krafttraining oder durch Veränderungen im Energiestoffwechsel auf Konditionstraining. Gerade die ausgeprägte Fähigkeit der Muskulatur, auf Trainingsreize reagieren und sich Belastungen rasch anpassen zu können, birgt aber auch die Gefahr, das komplexe Zusammenspiel im Gesamtorganismus aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Die Muskulatur des Sportlers sollte daher als zentrales und hoch sensibles System im Gesamtorganismus verstanden und entsprechender Bedeutung bedacht werden.

Was ist bei welchen Verletzungen zu tun?

In Folge von oftmals ungewohnten oder übermäßigen Belastungen kommt es zu Mikroläsionen (= kleinste Schädigungen) der Muskulatur und allgemeinem Muskelschmerz. Folge sind eine reduzierte Beweglichkeit sowie ein Kraftverlust. Dies ist bei der Planung der entsprechenden Trainingseinheit zu berücksichtigen. Die ursprünglich aufgestellte Hypothese, dass die im Muskel gebildete Milchsäure (Laktat) für den Muskelkater verantwortlich ist, konnte nicht bestätigt werden.

Hier handelt es sich um eine häufige Verletzung, die durch direkten Anprall, z. B. Tritt des Gegenspielers gegen das Bein oder Sturz auf die Muskulatur hervorgerufen wird. Typischerweise besteht eine deutliche Druckschmerzhaftigkeit im betroffenen Bereich. Diese Quetschung des Muskels bewirkt eine Gewebseinblutung (= Hämatom), die sich später durch den berühmten ‘blauen Fleck’ zeigt. Die Ausprägung der Prellung kann dabei sehr unterschiedlich sein und lässt sich am Spielfeldrand kaum einschätzen.

Leichte Prellung: evtl. weiterspielen, doch das Risiko bleibt!

Handelt es sich um eine leichte Prellung, kann der Spieler ggf. weiterspielen. Aber aufgepasst: Dann erhöht die starke Durchblutung das Ausmaß des Hämatoms und der nachfolgenden Entzündungsreaktion!

Schwere Prellung: sofort PECH-Regel

Bei schweren Prellungen ist die sofortige Anwendung der PECHRegel (= Pause, Eis, Compression, Hochlagerung) absolut entscheidend! Ansonsten droht ein massives Hämatom. Beginnen Sie also sofort damit, seiner Ausdehnung entgegenzuwirken und so bereits Sekunden nach dem Trauma die erforderliche Heilungsphase entscheidend zu verkürzen. In jedem Fall ist bei einer ausgeprägten Schmerzhaftigkeit nach der Akutbehandlung ein Sportarzt aufzusuchen, der das Ausmaß der Verletzung mit Hilfe einer Sonographie (siehe unten) deutlich besser einschätzen kann.

Das Kompartmentsyndrom – der seltene Notfall

Die Muskulatur befindet sich in Muskelfaszien, welche die sogenannten Muskelkompartimente umgibt. Diese relativ festen Umhüllungen der einzelnen Muskelgruppen geben auch bei hohem Innendruck kaum nach: Kommt es zu einer Einblutung, kann das Blut nur innerhalb der Muskelfaszie bleiben – der Druck steigt. Das kann zu Nerven- und Gewebeschädigungen bis hin zum Absterben von Muskulatur führen. Deshalb hilft bei einem solchen Kompartmentsyndrom nur die rechtzeitige operative Spaltung der Hülle!

Vorsicht ist vor allem beim Auftreten starker Schmerzen und harter Weichteilschwellung geboten. Dann wie auch bei sensiblen oder motorischen Ausfällen (= kein Gefühl oder Lähmungserscheinung) sofort und notfallmäßig die nächste Klinik aufsuchen!

Dabei entwickelt sich meist während der Belastung ein zunehmender Schmerz mit Spannungsgefühl oder krampfartigem Ziehen. Dieser Schmerz wird durch Dehnung oder Anspannung der betroffenen Muskulatur verstärkt und kann so zu einer Bewegungseinschränkung führen. Leider werden die ersten Symptome oftmals nicht ernst genug genommen und die Belastung so lange fortgesetzt, bis es aus Spielersicht ‘nicht mehr geht’.

Dieses Fortsetzen riskiert jedoch eine Verschlimmerung der Verletzung z. B. in Form eines Risses, die mit deutlich längerer Ausfallzeit einhergeht. Um dies zu verhindern, sollte sofort für 10 bis 15 Minuten gekühlt werden. Anschließend kann der Spieler – soweit der Schmerz nachgelassen hat – vorsichtig dehnen. Dabei aber auf keinen Fall gegen den Schmerz dehnen, sondern die Dehnung über einen Zeitraum von mehreren Minuten millimeterweise auf- und genauso langsam wieder abbauen (2- bis 3-mal wiederholen)!

Selbst wenn die Symptomatik danach deutlich rückläufig oder der Spieler sogar wieder schmerzfrei ist, sollte er eine Wiederaufnahme der Belastung, insbesondere schnellkräftige Formen, dringend unterlassen. Handelt es sich etwa um eine im Trainingsspiel zugezogene Zerrung der Oberschenkelmuskulatur (am häufigsten), kann er nach Kühlung und Dehnung ein lockeres Krafttraining für Rumpf und Oberkörper absolvieren, aber auf keinen Fall weiter mitspielen!

Anders als bei der Zerrung verspürt der Spieler bei einem Muskelfaser- oder Muskelbündelriss einen plötzlichen, oft messerstichartigen Schmerz, z. B. während eines Sprints. Dabei zerreißen Muskelzellen, was zu einer tastbaren Dellenbildung (Lücke) in der Muskulatur führen kann. Es kommt zu einer Einblutung der während der Belastung ja sehr gut durchbluteten Muskulatur.

Eine Fortsetzung des Trainings oder Spiels ist nicht möglich. Auch der Versuch sollte in jedem Fall unterbleiben, um das Ausmaß von Ruptur, Einblutung und nachfolgender Entzündungsreaktionen so gering wie möglich zu halten. Sonst droht eine umso längere Verletzungspause! Deshalb sofort die PECH-Regel anwenden: Jede Minute zählt!

Bei einem Muskelriss zerreißen viele Muskelbündel. Analog zum Muskelbündelriss tritt auch hier ein plötzlicher, sehr starker Schmerz auf, der häufig als ‘Knall’ im Muskel empfunden wird. Da viele Muskelbündel betroffen sind, sind die klinischen Symptome in der Regel sehr ausgeprägt. Entsprechend kommt es sehr rasch zu einer ausgeprägten Einblutung, die sofort gemäß der PECH-Regel eingedämmt werden muss.

Typischerweise ist bei einem Muskelriss eine Dellenbildung in der Muskulatur tastbar, die sich mit Hilfe der Sonografie auch optisch darstellen lässt. Bei großen Muskelrissen kann im Einzelfall sogar eine Operation notwendig werden.

Wichtig: Lassen Sie den Spieler nicht noch ‘mal eben’ unter die heiße Dusche gehen! Das würde die Ausbreitung des Blutergusses nur beschleunigen. Also unbedingt sofort die PECH-Regel konsequent anwenden und das Duschen aufschieben.

Was passiert beim Arzt?

DFB-Physiotherapeut Klaus Eder beim Tapen einer Muskelverletzung an der Wade! © Sven Hehl

Zunächst findet eine klinische Untersuchung der Muskulatur statt. Der geübte Sportarzt kann dabei den genauen Ort der Verletzung und ggf. sogar ihr Ausmaß im Falle einer tastbaren Muskellücke diagnostizieren. Eine Röntgenuntersuchung zum Ausschluss einer knöchernen Verletzung ist eher selten.

Ideales diagnostisches Hilfsmittel ist die Ultraschall- Untersuchung. Zusätzlich kann im Verlauf eine MRT-Untersuchung (Synonym: Kernspin) durchgeführt werden, die bei der genauen Einschätzung der Verletzungsschwere hilfreich sein kann.

Je nach Schwere der Verletzung ist eine ambulante Behandlung ausreichend oder eine stationäre Überwachung – etwa beim Kompartmentsyndrom – bzw. sogar eine Operation notwendig. Bei den meisten Muskelverletzungen findet jedoch als erste Therapiemaßnahme eine Ruhigstellung im Salbenverband und die Versorgung mit Gehstützen und ggf. Schmerzmedikamenten statt.

Die verletzte Stelle hat Klaus Eder mit Farbe gekennzeichnet! © Sven Hehl

Mit Hilfe der Sonografie kann der Arzt auf dem Bildschirm das Muskelgewebe beurteilen. So erkennt er vor allem größere Bündelrisse, komplette Rupturen und knöcherne Ausrisse sehr gut. Ideal ist die Sonografie auch für die Ermittlung von Lage und Volumenausdehnung eines Blutergusses.

 

Dabei kann er auch feststellen, ob das Hämatom flüssig ist und punktiert werden kann. Bei einer Punktion wird – ggf. unter gleichzeitiger Ultraschalldarstellung – mit einer Spritze das flüssige Blut aus der Muskulatur herausgezogen.

Ultraschalluntersuchung nach Muskelverletzung © 2012 FIFA


Handelt es sich um ein älteres, bereits verfestigtes und daher für eine Punktion ungeeignetes Hämatom, kann es allerdings nur über einen kleinen Hautschnitt entlastet werden. Schwierigkeiten bereitet die genaue Beurteilung von kleinen Faserrissen, da diese häufig nicht darstellbar sind. Oftmals lässt sich jedoch ein begleitendes Hämatom im Verlauf (maximale Ausdehnung meist 24 bis 48 Stunden nach dem Trauma) erkennen.

Bei Muskelverletzungen ist Geduld gefragt! © 2014 Getty Images
Bei Muskelverletzungen ist Geduld gefragt!

Heilungsverlauf nach Muskelfaser- und Muskelrissen

Nach anfänglicher Hämatombildung und anschließender Entzündungsreaktion bilden sich im weiteren Verlauf im Bereich der gerissenen Fasern Narben. Dies dauert in Abhängigkeit der Größe der Schädigung und damit der Anzahl der gerissenen Fasern mindestens 2 Wochen. Bis diese Vernarbung eine ausreichende Belastungsstabilität erreicht, können durchaus mehr als 6 Wochen vergehen.

Wird diese für die Heilung notwendige Zeit nicht berücksichtigt und zu früh mit zu großen Belastungen begonnen, kommt es zu einer erneuten Verletzung mit erneuter Narbenbildung, mit der die ganze Prozedur wieder von vorne beginnt und extrem langwierige und frustrierende Verläufe zur (vermeidbaren) Folge hat.

Dabei ist zu bedenken, dass es sich bei dem gebildeten Narbengewebe nicht um ein funktionstüchtiges Muskelgewebe handelt: Es erreicht nicht eine vergleichbare Elastizität und Kontraktilität (das Zusammenziehen der Muskelfasern, was zur eigentlichen Zugkraft führt). Je größer also sie die entstehende Narbe, desto ungünstiger die Prognose für das Erreichen der vollen sportlichen Leistungsfähigkeit.

Es ist demnach dringend zu empfehlen, die nötige Geduld aufzubringen und die vollständige Abheilung abzuwarten, ehe der Spieler die volle Belastung aufnimmt. Generelle Empfehlungen lassen sich bei der großen Variabilität hinsichtlich der Schwere der Verletzung kaum geben. Daher ist die sehr engmaschige Zusammenarbeit zwischen Spieler, Trainerstab, dem Physiotherapeuten und dem Sportarzt von entscheidender Bedeutung.

Wie beuge ich Muskelverletzungen vor?

Vor jeder Belastung sollte ein Aufwärmprogramm, bestehend aus Laufen (mindestens 5 Minuten), Dehnprogramm und koordinativen Übungen bis zu schnellkräftiger Belastung erfolgen. Bis die Muskulatur ihre optimale ‘Betriebstemperatur’ erreicht hat und das Verletzungsrisiko ausreichend reduziert wurde, vergehen mindestens 20 Minuten. Eine adäquate Kleidung, die ein Auskühlen der Muskulatur verhindert, ist Pflicht.

Damit sind nicht Zweikämpfe gemeint, sondern Agonist und Antagonist. Beim Fußballer wird – wie erwähnt – etwa der vordere Oberschenkel mehr beansprucht (Agonist), der hintere (Antagonist) weniger. Also ist vor allem die Kräftigung und Dehnung der Kniebeuger auf der Oberschenkelrückseite als Gegenspieler der Quadricepsgruppe auf der Oberschenkelvorderseite zu berücksichtigen. So wird auch dem Risiko einer Verletzung des vorderen Kreuzbandes entgegen gewirkt.

Um diese zu erkennen, ist das ‘Functional Movement Screening’ ein ideales Tool. Dabei werden bestimmte Bewegungen mittels eines Punktesystems bewertet, um eventuelle Schwachstellen ermitteln zu können. So begünstigt gerade eine unzureichende Dehnfähigkeit der Hüftbeuger in Kombination mit einer schwachen Rumpfmuskulatur das Auftreten von Muskelverletzungen.

Jedes (intensive) Training durch leichtes Traben und Wiederholen der 3 bis 4 individuell wichtigsten Dehnübungen beenden. Nie gegen den Schmerz dehnen! Schmerz ist ein Schutzsignal des Körpers! Gerade bei Partnerübungen muss der Spieler, der gedehnt wird, genau dirigieren. Hau-Ruck gefährdet die Muskulatur!

Ausreichende Flüssigkeitszufuhr und eine ausgewogene Ernährung sind die Basis des Energiestoffwechsels und damit der Leistungsfähigkeit der Muskulatur. Steuern Sie bereits im Training durch regelmäßige Trinkpausen Flüssigkeitsverlusten entgegen, bevor sie überhaupt entstehen. Und kompensieren Sie dennoch entstandene Defizite durch Trinken direkt nach dem Training (nicht-alkoholisch! Wenn schon ein Bier, dann erst nach einer Flasche Wasser…)!

Am Mannschaftstraining nehmen nur gesunde Spieler teil, leicht angeschlagene absolvieren allenfalls ein reduziertes Individualtraining. Und achten Sie und Ihre Spieler auf ‘versteckte Infektionsherde’ (z. B. Zähne, Mandeln, Nasennebenhöhlen)! Nicht selten verschwinden häufig wiederkehrende Muskelprobleme nach einer Zahnsanierung!