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Zuletzt hat es Frankreich 1998 geschafft: Bei der Weltmeisterschaft im eigenen Land holten die „Les Bleus“ den Titel. Nur Südafrika scheiterte bei seiner Heim-Weltmeisterschaft 2010 frühzeitig, während Südkorea, Deutschland und Brasilien es bei den Weltmeisterschaften 2002, 2006 und 2014 immerhin ins Halbfinale schafften. Eine Folge des Heimvorteils? Fakt ist: Seit der ersten Fußball-WM 1930, wo Uruguay im eigenen Land den Titel holte, ging der Weltpokal sechs Mal an den Ausrichter. Fünf Mal scheiterte die Heimmannschaft erst im Finale oder schaffte es zumindest ins Halbfinale.
Statistisch belegt ist der Heimvorteil jedenfalls – gerade bei Teamsporttarten: Laut Angaben der FIFA, die das Phänomen in einer Studie untersucht hat, gingen bei mehr als 6500 hochkarätigen internationalen Fußballspielen in der Hälfte der Fälle die Gastgeber als Sieger vom Platz. Auswärtssiege und Unentschieden machten dagegen jeweils nur rund ein Viertel aus. Ganz ähnlich sieht das Verhältnis auch in der Bundesliga aus. National seien jedoch beträchtliche Unterschiede festzustellen, wie Professor Daniel Memmert von der DSHS Köln berichtet. Laut einer Studie aus Münster liegt die Heimsiegquote bei Fußballspielen in Nigeria bei stattlichen 92,3 Prozent, in San Marino aber nur bei 48,6 Prozent. In Deutschland steht dieser Wert bei 62,6 – ähnlich in England oder Spanien.
Bei der Ursachenforschung verweisen Experten auf das Publikum: Anfeuerungsrufe verfehlen ihre Wirkung nicht. Sie putschen die Kicker der Heimmannschaft auf und schüchtern die gegnerischen Spieler ein. Das ist wissenschaftlich belegt: Mit Hilfe von Speicheltests konnten die britischen Forscher Nick Neave und Sandy Wolfson zeigen, dass die Schlachtgesänge des Publikums bei der Heimmannschaft einen Testosteronschub auslösen. Die Erklärung dafür ist evolutionsbiologischer Natur: „Testosteron ist bei Tieren mit Dominanz und mit Aggression verbunden“, so Neave in der Fachzeitschrift „New Scientist“. Er glaubt an eine Art Revierverhalten. „Wer zu Hause spielt, verteidigt in gewissem Sinne sein Territorium.“ Ein Indiz dafür: Bei Torhütern, die schließlich gleich zwei Territorien verteidigen müssen – ihre heimische Arena und ihr Tor –, war der gemessene Testosteron-Anstieg besonders hoch.
Laut Sportwissenschaftler Memmert nimmt der Effekt des Heimvorteils jedoch ab. Das liegt vor allem daran, dass alles professioneller organisiert und medialer geworden ist. Die Anreisen zu den Spielen werden immer angenehmer. Die Spieler kommen entspannt zum Auswärtsspiel, weil sie sich über alles informieren können. Es gibt so gut wie nichts Unberechenbares mehr.
Neben dem archaischen Revierverhalten kann der Heimvorteil aber auch darauf zurückzuführen sein, dass sich die Schiedsrichter von den Rufen des Heimpublikums beeindrucken lassen. Das zeigte vor einigen Jahren Alan Nevill, Sportpsychologe an der Wolverhampton University in Großbritannien: Er ließ eine Gruppe von Referees Videoaufzeichnungen von 47 Zweikämpfen anschauen. Anschließend sollten sie beurteilen, ob es sich um ein Foul handelte oder nicht. Ein Teil der Schiedsrichter hörte dabei den Originalton mit den Reaktionen des Publikums. Bei ihnen war die Wahrscheinlichkeit, ein Foul der Heimmannschaft nicht zu pfeifen, um 15 Prozent höher – was ziemlich exakt dem Wert entspricht, der sich unter realen Bedingungen beobachten lässt. Die psychologische Ursache dafür sieht Nevill in dem Druck, den die Zuschauer durch ihre Rufe auf die Schiedsrichter ausüben. Daher würden die Unparteiischen bei strittigen Situationen tendenziell eher weiterspielen lassen, als einen Freistoß gegen die Heimmannschaft zu pfeifen.
Manchmal kann der Heimvorteil allerdings auch ins Gegenteil umschlagen. Denn ein Testosteronschub kann auch bei Spielern der Gastmannschaft ausgelöst werden – wenn ihnen zu viel Antipathie des Publikums entgegenschlägt. Der einstige Nationalspieler Mario Basler hat es einmal auf den Punkt gebracht: „Kritik macht mich nur noch stärker“, sagte er in einem TV-Interview. „Wenn mich von 55 000 Zuschauern 50 000 hassen, mir am liebsten ein Bein abhacken würden, mich mit 'Arschloch' begrüßen, dann fühle ich mich wie Arnold Schwarzenegger gegen den Rest der Welt.“ Auch Oliver Kahn, der zu seiner aktiven Zeit bei Spielen in der Fremde von den gegnerischen Fans gern mit Affenrufen und einem Hagel von Bananen begrüßt wurde, war bekannt dafür, dann besonders gut zu halten und zum geradezu unbezwingbaren Rückhalt seiner Mannschaft zu avancieren.
Zugleich kann eine zu hohe Erwartungshaltung des Heimpublikums auch Fehler der Heimmannschaft auslösen. Wenn Mannschaft und Fans erfolgsverwöhnt sind und Rückschläge drohen, könne der durch die Anfeuerungen ausgelöste positive Stress schnell in negativen Stress umschlagen, was dann wiederum zum Leistungsabfall führen könne, meint der Heidelberger Sportpsychologe Henning Plessner. „Natürlich spielt dabei auch die mediale Berichterstattung eine Rolle.“
Ganz deutlich zeigte sich dieser Effekt bei der Weltmeisterschaft im Sommer in Brasilien. Das brasilianische Team, zuvor von den brasilianischen Medien und auch von seinem Trainer mit einer Art Weltmeister-Zwang belegt, rumpelte mit knappen Siegen durch das Turnier, bis es bekanntlich im Halbfinale spektakulär mit 1:7 gegen den späteren Weltmeister Deutschland unterging. Der Druck auf die Spieler war einfach zu groß gewesen – und hatte sie so sehr gehemmt, dass sie ihre wirkliche Leistungsfähigkeit nicht abrufen konnten.
Doch am Ende kann man mental noch so stark sein: Wenn man das Glück nicht auf seiner Seite hat, geht es trotzdem schief. Ob der Ball einen Zentimeter unter der Latte im Gehäuse einschlägt oder doch an den Querbalken kracht – das ist Zufall. Und dass Glück und Zufall beim Fußball eine wichtige Rolle spielen, ist ebenfalls wissenschaftlich erwiesen. „Da meist nur wenige Tore fallen, nimmt der Zufall eine besonders große Rolle ein“, erklärt Metin Tolan, Physikprofessor an der Technischen Universität Dortmund und Autor des Buches „So werden wir Weltmeister: Die Physik des Fußballspiels“.
Drei Tore fallen in einem durchschnittlichen Bundesligaspiel – jedes Team schießt aber zwischen 15- und 25-mal aufs gegnerische Gehäuse. Wenn der Erfolgsfall bei so vielen Versuchen nur 1- bis 2-mal eintritt, muss der Zufall eine große Rolle spielen – das ist einleuchtend. Sportarten, bei denen mehr Treffer zustande kommen, wie etwa Basketball oder Handball, sind entsprechend weniger stark vom Zufall abhängig. Das konnte Eli Ben-Naim vom Los Alamos National Laboratory in den USA mit der Analyse von insgesamt 300 000 Spielen verschiedener Sportarten zeigen.
Sieg oder Niederlage haben am Ende übrigens nicht nur sportlichen Wert, sondern wiederum psychologische Effekte, die sich auf das gesamte Umfeld auswirken. Nach einem wichtigen Turniergewinn einer Nationalmannschaft im Fußball werden in Meinungsumfragen die Regierungsarbeit und die wirtschaftliche Lage besser bewertet. Das Arbeitsklima wird besser, die Produktivität steigt. Ein populäres Beispiel für diesen Effekt ist die Stimmung im Land nach dem ersten deutschen WM-Titel 1954. Man war wieder wer auf der Welt. Dadurch gewannen die Deutschen an Selbstbewusstsein und trauten sich wieder etwas zu. Es ist daher kein Zufall, dass sich an das Fußballwunder das Wirtschaftswunder anschloss.
„Kollektive Euphorie kann dafür sorgen, dass Menschen die Dinge in ihrem Umfeld und auch sich selbst positiver bewerten“, sagt Julia E. Hoch, Wirtschaftspsychologin an der California State University Northridge. „Sie nehmen Dinge in Angriff, an die sie sich sonst nicht heranwagen würden, werden risikofreudiger und blicken nach vorn.“ Das gilt auch im kleineren Maßstab: Nach einer deutschen Meisterschaft steigt die Wirtschaftsleistung in der Stadt des Titelgewinners. Und auch wenn ein Dorfclub aufsteigt, gewinnen die Menschen dort an Selbstbewusstsein. Auch wenn sie selbst gar nicht mitgespielt haben.
Quelle: Harald Czycholl, „im Spiel – das Magazin der Fußballverbände Baden und Württemberg“