Daniel Kraus, der viele Jahre als Cheftrainer in der FLYERALARM Frauen-Bundesliga (FC Carl Zeiss Jena, SGS Essen und SC Freiburg) tätig war, ist seit dem Beginn der laufenden Spielzeit Nachwuchschef und U 20-Trainer beim Doublegewinner VfL Wolfsburg. Im DFB.de-Interview spricht der 38-Jährige mit Mitarbeiter Peter Haidinger über seine neue Aufgabe und das Training mit Nationalspielerinnen.
DFB.de: Der Saisonstart des VfL Wolfsburg II verlief in der 2. Frauen-Bundesliga nicht optimal. Wie erleichtert waren Sie nach dem ersten Saisonsieg im prestigeträchtigen Duell mit der zweiten Mannschaft des FC Bayern München II, Herr Kraus?
Daniel Kraus: Für das Selbstvertrauen und mit Blick auf die beiden folgenden Heimspiele gegen die drittplatzierte SG 99 Andernach und Tabellenführer RB Leipzig war es schon wichtig, dass wir mit dem 1:0-Sieg unseren ersten Dreier geholt haben.
DFB.de: Für den VfL geht es erst am 23. Oktober weiter. Wie wird die freie Zeit genutzt und in welchen Bereichen muss sich das Team noch verbessern?
Kraus: Wir werden weiter hart trainieren, haben noch viel aufzuarbeiten. In den nächsten Partien müssen wir mutiger Fußball spielen und mehr Selbstbewusstsein an den Tag legen. Gegen Bayern München hatten wir meistens verteidigt und nur eine kurze Drangphase, in der uns dann glücklicherweise der Siegtreffer gelang. Wir schaffen es aktuell aus verschiedenen Gründen noch nicht, diese Phasen, in denen wir richtig gut spielen, länger andauern zu lassen. Daran müssen und werden wir arbeiten.
DFB.de: Sie waren zuvor zehn Jahre Cheftrainer in der FLYERALARM Frauen-Bundesliga. Warum haben Sie im Frühjahr das Angebot aus Wolfsburg angenommen?
Kraus: Der Wunsch nach Veränderung war in mir gewachsen. Ich wollte etwas anderes machen und meinen Horizont erweitern. Bei der SGS Essen und beim SC Freiburg hatte ich junge Teams, die ich entwickeln konnte. Für mich wäre es spannend gewesen, in der FLYERALARM Frauen-Bundesliga auch mal um den Titel mitzuspielen. Mehr als ein gehobener Mittelfeldplatz war mit diesen Klubs aber kaum möglich. Ich hatte mich dazu immer schon mit dem Nachwuchs beschäftigt. Diesen Job jetzt hauptamtlich beim aktuell besten und erfolgreichsten Frauen-Bundesligisten sowie einem Topklub in Europa ausüben zu dürfen, war schon sehr verlockend.
DFB.de: Ralf Kellermann, der langjährige Cheftrainer und jetzige Sportliche Leiter der "Wölfinnen", sieht in Ihnen die "perfekte Besetzung" als Nachwuchschef. Wie sehr hat das Ihre Entscheidung beeinflusst?
Kraus: Ralf Kellermann halte ich sportlich für den besten Trainer, der in der Frauen-Bundesliga gearbeitet hat. Mit ihm hatte ich mich schon in den vergangenen Jahren häufiger über die Entwicklung des Frauenfußballs ausgetauscht. Seine Person hat bei meiner Entscheidung eine große Rolle gespielt. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit und kann von ihm viel lernen.
DFB.de: Für welche Mannschaften und Bereiche sind Sie verantwortlich?
Kraus: Neben meiner Tätigkeit als Cheftrainer der U 20 in der 2. Frauen-Bundesliga bin ich hauptverantwortlich für den gesamten Nachwuchs - also auch für die Sportliche Leitung bei der U 13, der U 15 und der U 17 in der B-Juniorinnen-Bundesliga sowie für das Talentteam.
DFB.de: Warum ist Ihr neuer Job im Vergleich zur Tätigkeit in der Frauen-Bundesliga kein Rückschritt?
Kraus: Es ist aus meiner Sicht sogar das Gegenteil der Fall. Meine neue Aufgabe ist sehr umfangreich und bereitet mir sehr viel Freude. Die Arbeit ist umfassender und anders, erweitert auch meinen Horizont. Dazu sind die Bedingungen bei einem Spitzenklub wie dem VfL Wolfsburg auf höchstem Niveau.
DFB.de: In der Vorsaison musste die U 20 des VfL Wolfsburg lange Zeit um den Klassenverbleib bangen. Wie lautet neben der Aus- und Weiterbildung der Talente in dieser Spielzeit die Zielsetzung?
Kraus: Wir wollen so früh wie möglich den Klassenverbleib sicherstellen. Alles andere wäre vermessen. Ich möchte die VfL-Mentalität und die Spielkultur, die in der ersten Mannschaft vorherrscht, möglichst in allen anderen Teams hineinbekommen. Wir wollen Bundesligaspielerinnen ausbilden - im besten Fall direkt für den Kader des VfL Wolfsburg oder eventuell auch mal über Umwege, wie es beispielsweise bei Nationaltorhüterin Merle Frohms der Fall war, die nach erfolgreichen Stationen in Freiburg und Frankfurt vor dieser Saison zum VfL zurückgekehrt ist.
DFB.de: Bei der SGS Essen hatten Sie unter anderem die Karrieren der aktuellen Nationalspielerinnen Lea Schüller, Linda Dallmann, Lena Oberdorf und Marina Hegering begleitet. Beim SC Freiburg trainierten Sie Klara Bühl und Torhüterin Merle Frohms, die ebenfalls feste Größen bei den DFB-Frauen sind. Was macht diese Spielerinnen so besonders und warum haben Sie den Sprung bis ganz nach oben geschafft?
Kraus: Ein gewisses Talent bringt jede Spielerin in eine bessere Startposition. Danach steht aber vor allem ganz viel harte Arbeit an, um die Ziele zu erreichen. Linda Dallmann, die ich bei SGS Essen betreute, war beispielsweise immer die Erste und auch die Letzte auf dem Trainingsgelände, hat viele Extraschichten eingelegt. Bei Lena Oberdorf war deutlich zu spüren, dass sie über viele Jahre mit Jungs zusammengespielt hat und sich dort behaupten musste. Fleiß, Wille und Ehrgeiz sind unabdingbar, um es bis ganz nach oben zu schaffen. Diese Einstellung bringen auch die anderen Mädels mit, über deren herausragende Entwicklung ich mich natürlich sehr freue.
DFB.de: Sie sind jetzt wieder primär für die Ausbildung zuständig. Was reizt Sie besonders an der Arbeit mit jungen Spielerinnen?
Kraus: Ich weiß, was gefordert ist, um oben anzukommen. Nicht jede Spielerin wird es schaffen. Aber es gibt viele Stellschrauben, an denen man drehen kann, um das Optimum bei einer Spielerin herauszukitzeln.
DFB.de: Seit der Europameisterschaft in England ist das Interesse am Frauenfußball deutlich gestiegen. Haben Sie in Ihrer neuen Umgebung auch eine Aufbruchstimmung festgestellt?
Kraus: Unabhängig davon, mit wem man spricht: Durch die Europameisterschaft wurde der Frauenfußball durchweg positiv besetzt. Jeder verbindet den Sport mit guter Stimmung, vollen Stadien und interessanten Spielen. Das war für die große, breite Masse wichtig, die sich nicht täglich mit Frauenfußball beschäftigt. Wir alle müssen an dieser positiven Entwicklung dranbleiben.
DFB.de: Was sollten aus Ihrer Sicht die nächsten Schritte sein, um den Fußball im Mädchen- und Frauenbereich weiter nach vorne zu bringen?
Kraus: Wichtig ist, dass wir von der Öffentlichkeit weiterhin und noch stärker wahrgenommen werden. Auf diesem Weg ist auch der neue TV-Vertrag ein wichtiger Schritt. Wir müssen hart arbeiten, um gegenüber den anderen internationalen Topligen wie England, Frankreich oder Spanien konkurrenzfähig zu bleiben. Ich kann mir daher auch gut vorstellen, dass die Bundesliga und 2. Bundesliga in einigen Jahren mehr Vereine umfassen könnte. Wir benötigen auch Topstars, um die Attraktivität der Liga weiter zu steigern. Im Optimalfall bilden wir diese Spielerinnen selbst aus.
DFB.de: Welche persönlichen Ziele verfolgen Sie als Trainer?
Kraus: Ich möchte mich und die Spielerinnen weiterentwickeln, freue mich maximal auf meine jetzige Aufgabe. Perspektivisch möchte ich im sportlichen Bereich irgendwann um Titel spielen.